Reportage

Als Reportage bezeichnet man eine räumlich wie zeitlich begrenzte Geschichte, die subjektiv Aussagen enthält und nicht immer einem chronologischen Verlauf folgt.

Der Reporter erzählt aus der Perspektive eines Augenzeugen, den man als Protagonisten bezeichnet. Durch dessen Sicht soll dem Leser das Miterleben der beschriebenen Ereignisse ermöglicht werden. Die Reportage schildert die Innenansicht einer Handlung. Es gibt keine thematische Beschränkung, allerdings kann er immer nur ein Thema und nicht mehrere Themen behandeln.
Aufbau:
Reportagen sind erzählend aufgebaut.
Meist erzählt der Reporter aus der Sicht einer Person, die am Geschehen beteiligt war. Das kann auch er selbst als Ich-Erzähler sein.
Der Aufbau wechselt häufig zwischen Beschreibung der Situation vor Ort und der Darstellung von Hintergrundwissen und Verallgemeinerungen.

Stil:
Die sprachliche Darstellung ist subjektiv erzählend. Um das Erzählte noch spannender und interessanter zu machen, verwenden die Journalisten häufig das Präsens als Erzählzeit. Der Leser wir so mitten ins Geschehen geführt.
Dem Journalisten ist es  im Gegensatz zum Verfasser von Nachrichten oder Berichten  erlaubt, Fakten durch eigene Eindrücke zu ergänzen, die er bei seiner Anwesenheit am Ort des Geschehens gesammelt hat.
Idealerweise erzählt er, ohne dabei zu werten oder zu kommentieren, auch nicht durch Weglassen. Er bedient sich aber einer ausschmückenden, bildhaften Sprache, häufig auch einer Umgangssprache.

Analysepunkte:
Beantworte folgende Fragen zur Analyse des Textes:

  • Womit befasst sich der Inhalt des Textes?
  • Welche Beziehung hat die Überschrift zum Inhalt (Überblick oder Leseanreiz)?
  • Aus welcher Sicht erzählt der Reporter?
  • Wie ist der Bericht aufgebaut (Wechsel zwischen Erzählen und allgemeiner Darstellung)?
  • Welche Sprache verwendet der Reporter (Fachsprache, Umgangssprache, Wortfeld, Satzbau, Zitate, wörtl Rede etc.)?
  • Was hebt der Reporter besonders hervor? Welchen Eindruck will er dem Leser vermitteln?

Beispiel:
Das Geheimnis des goldenen Fadens
Susanne Heilmann-Schink aus Dresden ist Deutschlands einzige Posamentiermeisterin

Sie schmückt Königsthrone und Schloss-Säle, verziert Papstkutschen und Paradeuniformen: Deutschlands einzige Posamentiermeisterin, Susanne Heilmann-Schink (49). Schlossverwaltungen und Museen in ganz Europa schätzen die einzigartigen Fransen, Quasten, Schnüre und Borten der Dresdnerin. Sie ist die Meisterin des goldenen Seidenfadens. Ihre prominentesten „Kunden“: Friedrich der Große, August der Starke, Bayerns Märchenkönig Ludwig II., sogar der Vatikan.

Der Webstuhl klappert. Sein sanfter, gleichmäßiger Klang zerteilt die Stille der kleinen Werkstatt in Dresden-Leutwitz. Die Schiffchen fliegen, die Fäden surren – heute für den Vatikan. Unter den flinken Händen der Meisterin wächst die Borte für eine Kutscherdecke in Kardinalsrot. Weben mit Segen: Zum Fuhrpark des Papstes gehören neben dem gläsernen, schusssicheren Papamobil auch noch die guten alten Karossen. Und die brauchen von Zeit zu Zeit neue historische Posamenten. Ein ausgesprochen kniffliger Auftrag, den Susanne Heilmann-Schink nur mit Fantasie, viel Geschick und Engelsgeduld bewältigen kann: „An diesem Teil sitze ich schon ewig.“

Einfallsreich und kreativ waren die Posamentierer der Päpste und Könige. Doch leider nahmen sie das Geheimnis des seidenen Fadens oft mit ins Grab. Die „gemeinen Tricks dieser Schlitzohren“ zu durchschauen, ist für Susanne Heilmann-Schink oft Sisyphusarbeit. Einmal zerschlissen und verblichen, sind farbenprächtige Posamenten kaum noch restaurierbar. Ramponierte textile Besätze von Thronen, Vorhängen, Uniformen oder Kutschen werden fast immer komplett ersetzt. Dabei verlangen die Museen Authentizität bis ins letzte Detail – Webfehler beim Original eingeschlossen. Die Kuratoren sind streng. Vorlage ist Vorlage: „Die wollen es hundertpro.“ Das geht nur in mühevoller Handarbeit.

Tage, manchmal sogar Wochen, verbringt die Künstlerin allein damit, das Mysterium eines Posaments zu durchschauen. Denn viele der historischen Muster sind nicht überliefert. Das letzte, angestaubte Lehrbuch, in dem sie gelegentlich schmökert, stammt aus dem Jahre 1914. Nicht selten eilt sie ruhelos durch ihr enges, schmales Reich und verflucht dabei die alten Meister. Umso größer ist ihr Triumph, wenn sie nach unzähligen Versuchen einem geflochtenen Faden endlich auf die Spur kommt: „Dann gibt’s zur Feier schon mal Sekt.“

Manchmal helfen wenigstens alte Zeichnungen und Skizzen. Doch groß ist das Glück, wenn die Meisterin auf verblichene Schätze zurückgreifen kann: Auf winzige, mit Garn umsponnene Knöpfe und Rosetten etwa, auf Schmuckbänder für Pferdedecken oder kunstvolle Troddeln, die in Museen oder Herrscherhäusern Jahrhunderte wohlbehütet überdauert, aber an Glanz eingebüßt haben. Die ausgedienten Originale ruhen in kleinen Kartons oder bejahrten Zigarrenkisten, die sich bis unter die Decke der nur etwa 30 Quadratmeter großen Werkstatt stapeln.

Behutsam öffnet Susanne Heilmann-Schink eine Schachtel. Staub wölkt um ihre Nase, auf der eine randlose Brille ruht. „Hier stiebt’s durch die Fäden.“ Die Meisterin mit dem offenen Lachen kramt ein zerschlissenes Original hervor, das sie bereits kopiert hat. Zum Vorschein kommt eine verblasste, lindgrüne Quaste, besetzt mit feinsten Ornamenten auf umsponnenem Pergament. Sie gehört zum Fensterzugriemen einer prunkvollen Königskutsche, an dem bereits vor 300 Jahren seine Majestät, Sachsens Sonnenkönig August der Starke (1670 – 1733), gezogen hat: „Da war der Alte dran!“ Der Liebhaber von Protz und Prunk beschäftigte die Dresdner Bandwirkerin über Gebühr. 14 Tage währten die Recherchen, obwohl es eine Vorlage gab. „Eigentlich kaum bezahlbar, aber mich hat diese Aufgabe gereizt.“

Deutschlands einzige Posamentiermeisterin ist mit Herzblut bei der Sache, aber außerhalb der Werkstatt wird ihr jedes Knopfannähen zur Qual“. Kein Wunder, brütet sie doch oft genug selbst zuhause an den Wochenenden über ihren Posamenten. Zur Freude von Hauskatze Lili (3): „Unsere Schnecke steht auf Quasten!“

Spätestens morgens um sieben brennt in der Mini-Manufaktur das Licht. Das leise, monotone Ticken der hölzernen Wanduhr hört Susanne Heilmann-Schink über die Knochenarbeit längst nicht mehr: „Ich hab richtige Arbeitspfoten.“ Über abgewetzten Arbeitstischen, in denen der Holzwurm wohnt, türmen sich in Regalen bunte, aufgespulte Wollgarne und unzählige Kartons, Schachteln und Kästchen mit Goldresten, Gold-Flitter und Lyoner Naturseide. Unschuldig hängen sie da, die bunten Quasten, Troddeln und gedrehten Schnüre, die sich zuvor nur unwillig dem Willen der Meisterin beugen wollten. Zierliche Borten mit feinen Mustern zu weben, goldene Seidenfäden zu kunstvollen Fransen zu drehen, oder aus dünnen Schnüren Quasten zu fertigen, erfordert Engelsgeduld. Kein Teil ist vorgefertigt. Jedes Sück beginnt mit einem einzigen, widerspenstigen Faden, bis durch Drehen und Weben, Sticken und Umwickeln die feinsten Posamenten entstehen: Raffhalter für Vorhänge auf der Veste Coburg und Schloss Ludwigsburg, gedrehte Fransen für Hauptvorhang und Foyer der Dresdner Semperoper, Borten für die sächsischen und preußischen Königsthrone, Vorhangschmuck für Bayerns Märchenkönig Ludwig II. und wulstige Fensterdekorationen für Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel. Längst gehören auch zahlreiche Museen zwischen Lübeck und Ludwigsburg, Regensburg und Rom zur Klientel der Meisterin.

Die Glanzepoche derer von Hohenzollern und Preußen übertrumpft alles: Der Alte Fritz sei ihr „bester Kunde“, bestätigt Susanne Heilmann-Schink und fügt stolz hinzu: „Die schweren Damast-Tapeten in Potsdam haben das gleiche Carmaisin-Rot wie unsere Garne.“ Dresdner Fransen hängen im klassizistischen Marmorpalais von König Friedrich Wilhelm II. (1744 – 1797) in Potsdam, am Bett des Preußenprinzen Heinrich (1726 – 1802), korrespondieren mit der Grazie des Voltaire-Zimmers auf Sanssouci. Weinrote Raffhalter zieren das barocke Interieur des Charlottenburger Schlosses, Quasten dekorieren die neugotische Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm I. (1797 – 1888) in Babelsberg.

Alles begann nach dem 2. Weltkrieg mit der Herstellung von Seilen und Wäscheleinen, ehe eines Tages eine Kuratorin von Schloss Sanssouci die kleine Dresdner Manufaktur aufsuchte. Heute hilft bei der Lösung vieler Probleme auch das überlieferte Wissen des Vaters. Manfred Schink (88) hat in derselben Werkstatt bereits zu DDR-Zeiten manch museales Kleinod vor dem Verfall bewahrt. Seiner Hartnäckigkeit verdankte die Tochter, dass sie durch die engen Maschen des sozialistischen Systems schlüpfen konnte. Weil ihr Vater sich weigerte, einen Fremden einzustellen und auf Sanssouci viele zerschlissene Posamenten auf ihre Restaurierung warteten, mochte die Handelskammer auf die damals schon seltene Fertigkeit nicht verzichten. Susanne Heilmann hängte ihren ungeliebten Job als Buchbinderin an den Nagel. Zwei Jahre lernte sie im heimischen Betrieb, dann machte sie ihren Meister – mit einem kuriosen Finale: Bei der Prüfung musste ihr Vater nach jedem Handgriff immer wieder diese Frage über sich ergehen lassen: „Hat sie’s auch richtig gemacht?“ – „Natürlich!“ Der Lehrling von einst grinst: „Die mussten es einfach glauben. Überprüfen konnte es ja keiner!“ Schon damals, 1976, war das Posamentengewerbe ein aussterbendes Handwerk. Bald wird es keinen mehr geben, der das Geheimnis des Goldfadens lüften kann. Davon ist Susanne Heilmann-Schink überzeugt. Sie kennt niemanden mehr, der wie sie manuell Posamenten wirkt. Die Aussichten sind schlecht, die Konjunktur lahmt. Für einen Lehrling fehlt das Geld, Museen und Schlösser knapsen, Privatkunden setzen eher auf billigere Industrieware. Manchmal möchte sie einfach Schluss machen: „Aus! Ich brenn‘ die Bude nieder und mach `was anderes!“ Doch dann träumt sie wieder voller Freude vom Zauber ihrer bunten, schimmernden Posamenten: „Ein Kollege macht noch Fransen für Wischmobs. Da hab ich echt Glück gehabt.“

THOMAS OLIVIER
Aus Ostsee Zeitung vom 13.03.04